ION Amaze Tales of the Waterwomen Virginie Martinez Serrano @BramVanVooren1

Im Rhythmus der Natur

Virginie gehört zu der Art von Menschen, die sich im Wasser mindestens genauso wohlfühlen wie an Land. Egal, ob Surf, Wake, Tauchen, Schwimmen, Kiten oder auch mal Wing foilen – sie nimmt alles mit. Für sie geht es nicht darum sich festzulegen, sondern Spaß zu haben und dabei so viel Zeit wie möglich am Meer zu verbringen.

Während ihres Kunststudiums entdeckte sie die analoge Fotografie – und mit ihr die Leidenschaft, Frauen im Wasser zu porträtieren. Ihre kreative Sichtweise und die tiefe Verbindung zum Meer verschmelzen in Bildern, die inspirieren und stärken.

Wir haben mit Virginie über Surf-Fotografie, weibliche Repräsentation im Wassersport und die Kraft des Meeres gesprochen.

ION Waterwomen Virginie Martinez @BramVanVooren2
Lerne Virginie kennen

Was gibt dir das Meer, was dir nichts anderes geben kann?

Präsenz. Verbindung. Es ist wie eine Symphonie mit der Natur. Ich glaube, genau das fehlt uns heute so sehr. Wir denken ständig an morgen oder gestern, sind immer am Handy. Aber im Wasser ist alles ruhig. Friedlich. Es ist wie ein Geschenk an mich selbst.

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Kunst als Ausdruck weiblicher Stärke

Geschichten von Frauen, Community und Inspiration

Mich inspirieren Menschen – und Musik. Viele Ideen kommen mir unterwegs: im Auto, im Zug, im Flugzeug. Ich stelle mir Bilder oder Szenen vor, die ich umsetzen will. Musik ist dabei wie ein Soundtrack, der seinen eigenen Film in meinem Kopf abspielt.

Aber vieles passiert auch ganz spontan. Ich sehe überall Schönheit. Ich bin sehr sensibel, und wenn ich die Energie eines Menschen spüre, beginne ich zu sehen, wie ich seine Geschichte erzählen will. Besonders die von Frauen – im Sport, aber auf kreative Weise. Ich möchte zeigen, wie stark wir sind, aber auch unsere Verletzlichkeit. Diese Seite wird oft versteckt. Was fühlen wir im Sport? Wie gehen wir mit Druck um? Die Verbindung zu anderen Sportlerinnen ist kraftvoll – wir beginnen gerade erst, wirklich sichtbar zu werden. Genau diese Geschichte möchte ich erzählen.

Letztes Jahr habe ich ein Projekt gemacht, bei dem viele Frauen zusammengekommen sind. Es hat mich stark mit meiner Community verbunden. Man erkennt: Wir sind alle unterschiedlich – und gleichzeitig gleich. Jede hat ihre eigene, einzigartige Geschichte. Das ist Empowerment.

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Du hast Projekte über Weiblichkeit gemacht – was bedeutet das für dich persönlich?

Ich habe gelernt, dass wir uns selbst zu hart beurteilen. Wir müssen freundlicher mit uns sein. Wir haben so lange um Raum gekämpft – vielleicht ist jetzt der Moment gekommen, uns gegenseitig zu unterstützen. Statt uns zu vergleichen.

Es geht auch viel um Körperbilder, Tabus, um Ästhetik. Diese Projekte zeigen dir, wie schön und stark wir wirklich sind. Ich selbst bin durch diese Arbeit selbstbewusster geworden. Wenn man so viele Frauen gemeinsam sieht, überall Schönheit – dann lernt man, sich selbst weniger zu verurteilen. Wir haben alle unsere Merkmale. Das macht uns menschlich. Und das macht uns schön.

Hat sich deine Beziehung zum Meer im Laufe der Zeit verändert – als Frau?

Komplett. Früher war ich überhaupt nicht sportlich. Aber ich wollte schon als Kind surfen. Meine Familie hatte Angst, also hab ich’s nie gemacht. Als ich dann endlich damit angefangen hab, hat sich alles verändert. Ich war plötzlich total fokussiert. Ich hab weiter studiert, alles andere auch – aber innerlich wusste ich: Ich will nur noch das machen. Ich will fotografieren.

Ich hätte nie gedacht, dass ich im Wassersport arbeite. Es fing alles aus Spaß an. Aber dann war da diese Stimme in mir: „Du musst das machen.“ Und das hat mich stark gemacht. Entschlossen.

»„Und jedes Mal, wenn ich ins Wasser gehe, ist es wie durch eine Angst hindurchzugehen. Etwas loszulassen. Es reinigt die Seele. Wenn ich nervös oder wütend bin – im Wasser bin ich wieder glücklich.“«

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Wie bleibst du kreativ inspiriert – bei einem Leben, das so sehr vom Rhythmus der Natur bestimmt ist?

Das Wichtigste: Akzeptieren, wenn die Inspiration gerade fehlt. Wenn du blockiert bist, lass es los. Sie kommt zurück. Niemand ist 365 Tage im Jahr kreativ.

Mich inspiriert das Reisen. Ständig in Bewegung zu sein, neue Eindrücke – oder einen bekannten Ort mit neuen Augen sehen. Manchmal sehe ich einen neuen Baum & das löst etwas in mir aus. Auch wenn ich Geschichten anderer erzähle, geht’s immer auch um mich – um meine Gefühle. Die Farben, die ich nutze, die Art zu fotografieren – das hängt davon ab. Kreativität kommt in Wellen. Wenn ich blockiert bin, gönne ich meinem Kopf Ruhe. Und wenn sie wiederkommt – dann explodiere ich.

Wie beeinflusst das Chaos der Natur – die Unberechenbarkeit des Meeres – deinen kreativen Flow?

Es inspiriert mich extrem. Besonders, wenn wir einen neuen Spot entdecken. Oder wenn plötzlich durch einen Sturm irgendwo auf der Welt perfekte Wellen ankommen. 4–5 Meter, einfach so. Das ist Magie. Das ist Naturkraft. Und es wird nie wieder genau so passieren. Das Meer ist nie zweimal gleich. Wenn ich Frauen sehe, die solche Wellen surfen – das bewegt mich. Ich weine oft. Weil sie so im Einklang mit der Natur sind. Wir haben in den letzten 10–15 Jahren so viel erreicht – es ist verrückt.

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Ist da auch Angst im Spiel? Als Fotografin bist du ja mittendrin in den Bedingungen. Musst du dich mental pushen?

Ja. Sehr sogar. Ich hab immer Angst, wenn ich ins Wasser gehe. Du weißt nie, was passiert. Die Strömung ist vielleicht stärker als gedacht. Die Gezeiten ändern sich. Es wird kraftvoller. Aber da ist auch Magie. Meist atme ich vorher viel – bringe mich zur Ruhe. Wenn eine riesige Set-Welle kommt, schaue ich sie an und sage mir: Du schaffst das. Und dann warte ich. Ich atme. Meist ist es gar nicht so schlimm, wie man denkt.

Aber Angst ist immer da. Wenn du keine Angst hast, bist du nicht achtsam. Es ist wunderschön, mit dem Ozean zu spielen. Aber er ist auch gefährlich. Das müssen wir respektieren.

Hast du manchmal das Gefühl, zwischen dem Moment-Erleben und dem Einfangen des Moments hin- und hergerissen zu sein?

Ständig. Wirklich – jeden Tag. Du siehst perfekte Lines, und ein Teil von dir will einfach surfen. Aber wenn ich auf einem Shooting bin, muss ich den Moment einfangen. Es ist ein kleiner Kampf mit sich selbst. Aber ich liebe es trotzdem.

Gerade liebe ich es, im Wasser zu schwimmen und von dort aus zu fotografieren. Das ist noch relativ neu für mich – und ich will so viel Zeit wie möglich da drin verbringen. Aus dem Wasser siehst du alles anders. Du bist in der ersten Reihe, wenn jemand in eine Barrel geht oder einen Cutback macht. Es ist einfach wow. Ich liebe es.

@leesafleming

Was würdest du Frauen raten, die mit Fotografie – vor allem Wasserfotografie – anfangen wollen?

Vertrauen ist das A und O. Fotografieren im Wasser ist kein Spaziergang. Trainiere so viel du kannst. Sei so fit wie möglich. Trainiere deinen Atem. Deinen Körper. Wenn du physisch und mental bereit bist, macht es richtig Spaß – und du bekommst gute Ergebnisse. Aber es braucht Zeit. Hab Geduld.